CFP: Organitechnoscience. Organizität und Technizität im literaturwissenschaftlichen Diskurs. Internationale Tagung (1. bis 3. April 2020), Université Sorbonne Nouvelle – Paris 3.
Kooperation der Forschungsgruppe CEREG der Université Sorbonne Nouvelle und der Professur für Medienwissenschaft und NdL der TU Dresden.
Seit der zweiten Hälfte des 20. Jh. lässt sich in wissenschaftlichen Diskursen unterschiedlicher Disziplinen ein grundlegender Paradigmenwechsel beobachten: Die Trennung von Organischem und Technischem, die die „westliche“ Ideengeschichte jahrhundertelang geprägt und die „westliche“ Imagination anhaltend strukturiert hat, scheint aufgehoben. Bereits im 17. Jh. gezogene Verbindungslinien zwischen Organischem und Technischem (u.a. die Verknüpfung Mensch-Maschine bei Descartes oder später La Mettrie) werden gegenwärtig in Form einer Hybridisierung dieser so unvereinbar erscheinenden Bereiche radikalisiert. Daran knüpft ein neues Interesse an dem Verhältnis von Natur und Kultur. So untersucht etwa Pierre Charbonnier in La fin d‘un grand partage (2015) anhand von Texten Durkheims, Levi-Strauss’ und Descolas, wie im Kontext von Klimawandel und Umweltfragen der Dualismus von Natur und Gesellschaft allmählich revidiert und möglicherweise überwunden wird. Im (post-)feministischen Diskurs hat sich in den vergangenen Jahrzehnten Ähnliches vollzogen, betrachtet man die verschiedenen Manifeste Donna Haraways, die sich zunächst auf die zentrale Denkfigur des Cyborgs (The Cyborg Manifesto, 1985) und später des Hundes (The Companion Species Manifesto, 2003) stützen. Positionen konstitutiver Verknüpfungen von Organizität und Technizität wie die von Gilles Deleuze und Félix Guattari (u.a. Mille Plateaux. Capitalisme et schizophrénie 2, 1980) erfahren in den breit geführten Auseinandersetzungen mit Neuen Materialismen (u.a. Jane Bennett, 2010) eine Aktualisierung.
Der behauptete Paradigmenwechsel – von der Trennung zur Hybridisierung – zeigt sich dabei selbst als vielgestaltiger Prozess und wird zum Schauplatz eines umkämpften Terrains epochaler Bezeichnungspraktiken: Zuvor noch undenkbare Assoziationen wie „naturecultures“ (Donna Haraway, 2003) oder Relationen wie „écotechnie“ (Jean-Luc Nancy, 2007), die auf eine Hybridisierung von Organischem und Technischem (etwa eine „organitechnoscience“?) abheben, lösen die im letzten Viertel des 20. Jh. ausgerufene Ära der „technoscience“ (Bruno Latour, 1987; Marie-Luise Angerer, 1999) ab.
Dass die Literaturwissenschaft einen zentralen Ort dieser Aushandlungen markiert, ist ihrer grundlegenden Anlage geschuldet. Ihrerseits hat sich die Literaturwissenschaft immer schon transdisziplinär gestaltet und sich von Denkfiguren aus der Philosophie, Wissenschaftssoziologie und Kulturwissenschaft gespeist. Eine Vielzahl der neueren und neuesten Ansätze im Diskurs über Literatur arbeiten anhand von technischen und organischen Figurationen wie dem Hybrid (Norbert Mecklenburg, 2008), aber auch dem Schwarm (Eva Horn / Lucas Marco Gisi, 2009), der Diffraktion (Birgit M. Kaiser / Kathrin Thiele, 2017) oder dem Propfen (Uwe Wirth, 2011). Während Technizität und Organizität lange als Widerspruch gehandelt wurden, gehen sie auch in diesem Bereich zunehmend Verhältnisse komplexer Assoziationen, skandalöser Schnittmengen und engverwobener Verschränkungen ein. Damit tritt die Janusköpfigkeit von Natur und Technik deutlicher hervor. Produktiv erscheint die literaturwissenschaftliche Verhandlung dieser merkwürdigen Relation jedoch nicht allein in Bezug auf Transferleistungen zwischen den Disziplinen. Vielmehr lassen sich konkrete, an die Literatur und ihre wissenschaftliche Verhandlung gerichtete Fragenkomplexe in den Blick nehmen. Beispielsweise ließe sich fragen, wie sich etwa der Parasit (Michel Serres, 1980) und die Interferenz (Sebastian Donat et al., 2018) als zwei mögliche Figurationen der Störung in Textherstellung und -rezeption zueinander verhalten. Anders gewichtet kann danach gefragt werden, was Deleuzes und Guattaris „Rhizom“ (Mille Plateaux, 1980) von der Netzwerktheorie (Stefan Kaufmann, 2007) in Diskursen zum Literaturfeld oder der Intertextualität unterscheidet. Diesen und weiteren Fragen soll in dem international ausgerichteten Tagungsformat nachgegangen werden.
Im Mittelpunkt der Diskussion steht die Relation von Organizität und Technizität (als Spannungsverhältnis, Wechselspiel oder Kombination). Die Tagung möchte sich dabei insbesondere verschiedenen organisch-technisch operierenden Denkfiguren in deutschsprachigen Texten widmen, die sich in verschiedener Weise mit Literatur befassen (Literaturtheorie, Literatur über Literatur, Philosophie, Kulturwissenschaft, Essayismus). Für die Tagung und die Bearbeitung des Komplexes von Organizität und Technizität sind folgende Aspekte von besonderem Interesse:
– ältere Ausformungen der aktuellen organisch-technischen Figurationen (vom Mittelalter bis heute)
– der Einfluss u.a. französischsprachiger und englischsprachiger Theorie auf den deutschsprachigen literarischen und theoretischen Diskurs (Theorie- und Kulturtransfer) – theoretische Begriffsbestimmung und -unterscheidung zwischen Paradigma, Denkfigur, Denkmodell, Metapher, Figuration, o.Ä.
– Materialität von Theorie: ihr Rückgang und die Bemühungen, sie zurückzuholen – Politik der Theorie (Biopolitik, Queertheory, Critical Race Theory, Aufklärungs- /Antiaufklärungsdiskurse wie auch der Zusammenhang von Hybridisierungsdynamiken und wiedererstarkenden Essentialisierungen von Natur und Kultur)
Die internationale Tagung findet von 1. bis 3. April 2020 an der Universität Sorbonne Nouvelle in Paris statt.
Zuschüsse für Reise- und Übernachtungskosten wurden beantragt. Tagungsgebühr: 50€
Beitragsvorschläge auf Deutsch oder Englisch (max. 300 Wörter) mit Titel und kurzer bio- und bibliografischer Angabe bitte bis 31.7.2019 an Sarah Neelsen und Julia Prager:
sarah[dot]neelsen[at]sorbonne-nouvelle.fr
julia[dot]prager[at]tu-dresden.de