Call for Papers: 57. Kongress der Association des Germanistes de l’Enseignement Supérieur (AGES)
1.-3. Juli 2026
Universität Rennes 2 / CELLAM, ERIMIT, LIDILE
Organisationskomitee : Julien Beaufils, Jean-François Candoni, Laetitia Devos, Valérie Dubslaff, Isabelle Ruiz, Alexis Tautou
Ort : Universität Rennes 2, Campus Villejean (Rennes, Frankreich)
Datum : 1.-3. Juli 2026
Ränder, Schwellen, Transitionen
Im Jahr 2000 wurde der AGES-Kongress vom Germanistik-Institut der Universität Caen organisiert. Die Beiträge der Teilnehmer:innen drehten sich damals rund um drei Stichworte: Schwelle(n), Grenze(n) und Ränder (L’Harmattan, 2001). Manche Vorträge aus dieser Zeit spiegeln eines der vorherrschenden Anliegen der Germanistik des 20. Jahrhunderts wider, nämlich den Wunsch, den Fokus der Analysen zu verlagern, sich dem Monopol der „großen goldenen Eiche” (C. Andler), wofür Deutschland in seinen vielfältigen politischen Formen (Fürstentümer und Königreiche, Kaiserreich, Republiken) steht, zu entziehen und die Bandbreite der Untersuchungen auf andere deutschsprachige Gebiete und Bevölkerungsgruppen auszuweiten – wie die Habsburgermonarchie und die verschiedenen östlichen und südlichen Randgebiete ihrer sog. „Kronländer”, das Banat und Siebenbürgen, das Herzogtum Kurland, um nur ein paar bunt zusammengewürfelte Beispiele zu nennen. Die geografische Verschiebung weg vom Zentrum hin zur Peripherie (zur „Exterritorialität”, um eine Bezeichnung aus dem Jahr 2002 wieder aufzugreifen) wird seit den 1980er Jahren unter dem Banner der transnationalen und transkulturellen Studien dadurch weiter vorangetrieben, dass genuin nicht-deutschsprachige Autor:innen (aus allen Weltteilen) nun berücksichtigt werden, die die deutsche Sprache als Ausdrucks- und Schriftsprache gewählt haben.
Im Anschluss an diesen früheren Germanistenkongress in Caen nimmt sich das Institut für Germanistik und Angewandte Fremdsprachen der Universität Rennes 2 vor, die Ansätze aufzufrischen und in dieser Hinsicht drei verwandte Begriffe zur Diskussion vorzulegen: Ränder, Schwellen und Transitionen – und sie in ihren zahlreichen Bedeutungen zu erfassen (räumlich, historisch, symbolisch, wirtschaftlich, sprachlich usw.). Ziel ist es, die Methoden und Themen im Zusammenhang mit diesen Begriffen unter neuen Vorzeichen zu hinterfragen und zu untersuchen, wie mit ihnen umgegangen wird in den verschiedenen Teilbereichen der Germanistik – in den Literatur-, Geschichts-, Sprach- und Kulturwissenschaften, aber auch in anderen Bereichen wie der Didaktik, den Visual studies, der Soziologie oder der Translatologie.
Auf den ersten Blick scheint die Vorrangstellung räumlicher und kultureller Art zu sein: Mit diesen Begriffen werden einerseits eine Verortung, eine Positionierung innerhalb eines Raumes im Verhältnis zu einem anderen gemeint, andererseits aber auch Berührungsflächen, Kontaktzonen bzw. Grenzgebiete, an denen ein Wechselspiel von Übergängen, Transfers oder Zusammenstößen stattfindet, welches sich mit unterschiedlichen Wortpaaren formulieren lässt: Zentrum und Peripherie, Innerlichkeit und Äußerlichkeit, groß und klein bzw. Mehrheit und Minderheit. Man denke nur an die Themen Exil, Migration und Reise und an die narrative bzw. lyrische Ästhetisierung der Transiträume oder der Erlebnisse all derer, die sich solchen Raumerfahrungen hingeben. Dabei sind die soziologischen, ethnografischen oder sprachwissenschaftlichen Analysen nicht zu vergessen, die unzertrennbar verbunden sind mit der Auswanderung in andere Kulturräume, sei es aus dem deutschsprachigen Raum oder in Richtung desselben. Aus dieser Mobilität ergeben sich interkulturelle Austausche und Transfers, denen nachgegangen werden könnte.
Mit den Begriffen Schwellen und Transitionen wird der Kontakt mit einer Linie, dem Grenzverlauf zwischen zwei Räumen, zwei Zuständen, zwei Situationen, zwei Sprachen oder zwei Zeitaltern vorausgesetzt. Sie deuten auf ein Dazwischen oder eine Lücke, einen hervorstechenden Raum, von dem man sich betroffen fühlt – am Beispiel jener „Schwellenräume“ (liminal spaces) in der Film- und Medienästhetik. In der Geschichte weist die Schwelle auf einen Wendepunkt hin, den Augenblick eines Aufbruchs in eine neue Ära, die Sprengung eines soziokulturellen Rahmens oder das Ende eines politischen Regimes; bei Übergängen hingegen wird den Zeiträumen vor und nach dem Bruch Rechnung getragen, um den Wandel in seiner Gesamtheit erfassen zu können. Übergänge können ansonsten auch Paradigmenwechsel, Wendungen oder Hybridisierungen in anderen Bereichen offenbaren: Sie können auf Mutationen in der Grammatik hinweisen, auf den Übergang von einer Sprache zu einer anderen im Rahmen der Übersetzung oder auf das Hinübergleiten von der realen zur virtuellen Welt. Übergänge stehen in Verbindung mit politischen Mobilisierungen oder gesellschaftlichen Dynamiken, sei es auf der Ebene des sozio-professionellen Mikrokosmos wie auch in der gesamten Gesellschaft. Durch sozial-ökologischen Wandel beispielsweise bemühen sich Akteur:innen der Sozialpolitik, Lebensweisen einzuführen, die weniger CO2-Emissionen mit sich bringen und umwelt- und biodiversitätsfreundlicher sind. Gemeint sind auch die Transitionen in Geschlechterhinsicht, nämlich der Übergang von einer Identität zur anderen, wobei den Normen, von denen unsere Gesellschaften geprägt sind, Trotz geboten wird. Von einem Zustand in einen anderen überzugehen, sich im Zwischenraum zu bewegen bzw. am Rande einer Gesellschaft, einer Gemeinschaft oder eines Regimes zu stehen, geht oft einher mit der (un)freiwilligen Übertretung von Konventionen, Regeln, Vorschriften, Gesetzen, Dogmen oder einem ästhetischen Kanon. Die Grenzüberschreitung setzt dementsprechend ein ganzes System der Auf- und Abwertung voraus und kann zu Unsichtbarmachung, Unterdrückung und Gewalt führen, wenn die „Ausartung” oder das „normabweichende Verhalten”, ob sozialer, geschlechtlicher, politischer oder künstlerischer Natur, als anormal, unannehmbar und illegal angeprangert werden. Sie ist dennoch auch eine Quelle des künstlerischen Schaffens, der Wandlung, der Veränderung, sorgt für neue Einstellungen und Erneuerung. So ermöglicht es die Grenzüberschreitung dem Einzelnen, die eigene Agency an den Tag zu legen, sich „über das Getümmel” oder an die Spitze der Innovation zu stellen, die eigene Randständigkeit zum Ausdruck zu bringen und sich dazu zu bekennen, wie es bei Akteur:innen der Avantgarde der Fall ist.
In der Fremdsprachendidaktik entspricht das sogenannte „Schwellenniveau” laut Definition für das Niveau B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GER) dem einer fortgeschrittenen Sprachverwendung. Angesichts der durch den massiven Einsatz künstlicher Intelligenz hervorgerufenen Umwälzungen kann man mit einer Neudefinierung dieses Schwellenniveaus rechnen und sich fragen, nach welchen Maßstäben dies geschehen wird. Welchen Platz werden überhaupt das Lehren und Lernen der deutschen Sprache, die heute zunehmend an den Rand gedrängt werden, in Zukunft einnehmen? Und welche Rolle könnte die Fachsprache in diesem Zusammenhang spielen? Wenn wir überhaupt an der Schwelle zu einer neuen Ära stehen, erfordert dieser Wendepunkt von uns, dass wir über die Rolle von Unterricht und Forschung im Hochschulsystem und in der Gesellschaft insgesamt nachdenken. Laut einer 2023 vom französischen Ministerium für Hochschulbildung und Forschung verabschiedeten Richtlinie sollten zum Beispiel Studierende im Grundstudium an den Hochschulen zu den Themen Klimawandel und nachhaltige Entwicklung ausgebildet werden. Deutschland und Österreich werden oft und schon lange als Vorbilder für umweltfreundliches Handeln genannt: Die französische Germanistik, die schon Fachkenntnisse über diese Übergangsprozesse jenseits des Rheins besitzt, könnte besser als irgendjemand sonst zur Verbreitung dieser als wesentlich erachteten Informationen beitragen.
Die Sprachwissenschaft befasst sich auch per se mit diesen Begriffen: Normen und Sprachgebrauch, Zentren und Peripherien, dominante Sprachen und an den Rand gedrängte Mundarten. Beiträge zu sprachlicher Variation und Varietät im deutschsprachigen Raum und zum Verhältnis desselben zu Sprachstandards sind daher willkommen. Das Interesse könnte dabei von geografischen Variationen (Dialekte) über Soziolekte bis hin zu individueller sprachlicher Varietät (Idiolekte) reichen. Unter anderem wären Vorträge über marginalisierte Sprachformen (Jugendsprache, Kiezdeutsch usw.) oder ihren Gebrauch im Rahmen von Kulturprodukten (Lieder, Literatur usw.) erwünscht. Das Spannungsverhältnis zwischen Zentrum und Ränder lässt sich ferner durch die Brille der Sprachpolitik in den einzelnen deutschsprachigen Ländern erforschen, beispielsweise wenn man den Umgang mit (minorisierten) Minderheitensprachen (z. B. Friesisch und Sorbisch in Deutschland, Slowenisch und Ungarisch in Österreich) in mehrheitlich deutschsprachigen Ländern unter die Lupe nimmt oder die deutsche Sprache selbst als (minorisierte) Minderheitensprache betrachtet. Die Begriffe Schwelle und Übergang laden schließlich auch dazu ein, sich für den Eingang neuer Erscheinungen (Anglizismen, Gendersprache, Neo-Pronomen usw.) in die Sprache zu interessieren und dafür, ob sie vom Standpunkt der Norm aus betrachtet angenommen oder abgelehnt werden. In dieser Hinsicht könnte auf das Nebeneinanderbestehen von Sprachcodes (Diglossie, Code-Switching) oder auf die gegenseitigen Einflüsse von Sprachen (Adstrat, Superstrat usw.) eingegangen werden, sei es aus synchroner oder diachroner Perspektive.
Die Beitragsvorschläge lassen sich in folgende Themenbereiche einreihen (die Liste soll nicht als erschöpfend angesehen werden):
– Interkulturalität, Austausch, Polyphonien;
– Identitäten, Praktiken und Gender-performance am Rande der Gesellschaft;
– Übergänge, Vertreibung, Exil und Migration;
– Übersetzung, Übertragung, Transposition und Mediatisierung;
– Marginalisierung, Minorisierung, Unsichtbarmachung, Ausgrenzung;
– Literarisches und künstlerisches Schaffen.
Die Arbeitssprachen des Kongresses sind Französisch und Deutsch. Doktorand:innen sind besonders eingeladen, mitzumachen und Vortragsvorschläge einzureichen.
Die Vortragsvorschläge (ca. 3.000 Zeichen) sind zusammen mit einem kurzen Lebenslauf bis zum 10. November 2025 auf der Plattform SciencesConf unter folgender Adresse einzureichen: https://ages2026.sciencesconf.org
Weitere Informationen: ages2026@sciencesconf.org