MoDiMEs-Sprachen Realitäten, Herausforderungen und Perspektiven

Die Kongresse des Nationalen und Internationalen Verbands der Fremdsprachen (ANLEA-AILEA) stellen regelmäßig die Vitalität der Sprachen in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen, insbesondere die Bedeutung der Regionalsprachen – Träger der Identität, Bewahrer einer gemeinsamen Vergangenheit und Geschichte sowie Ausdruck der Begeisterung jener Menschen und Gemeinschaften, die sie am Leben halten[1].

In den letzten Jahren ist ein Neologismus entstanden, um die am wenigsten verbreiteten und gelehrten Sprachen zu bezeichnen: die sogenannten MoDiMEs-Sprachen. Dieser Begriff bringt die Spannung zwischen ihrem möglichen Verschwinden (laut UNESCO „werden weltweit rund 7000 Sprachen gesprochen, von denen jährlich 25 aussterben“[2]) und ihrer Fähigkeit zur Erneuerung zum Ausdruck. Die Globalisierung scheint den Tod der am stärksten marginalisierten Sprachen zu beschleunigen. Die MoDiMEs – gemeinhin auch als seltene, Minderheiten-, Regional- oder Dialektsprachen, lokale Varietäten oder Mundarten bezeichnet – sind aus sprachwissenschaftlicher Sicht „nicht weniger interessant, doch ihr Gebrauch ist meist eingeschränkt, und in der Regel geographisch begrenzt“[3].

Werden diese Sprachen in der Lage sein, zu widerstehen, zu überleben und sich neu zu erfinden? Wie gefährdet die Globalisierung die Stellung der MoDiMEs-Sprachen? Zwar beeinflussen dominante Sprachen jene, die de facto als zweitrangig gelten, was zu kultureller Assimilation, sprachlicher Vermischung oder sogar zu Akkulturation führen kann, jedoch verläuft diese Einflussnahme nicht nur in eine Richtung. Auch die Leitsprachen sind gezwungen, sich anzupassen, neue Formen des Zusammenlebens zu finden, ihre Stellung gegenüber den MoDiMEs zu überdenken oder sogar deren Erhalt zu fördern. Beim ANLEA/AILEA-Kongress in Straßburg im Jahr 2022 erinnerten beispielsweise Unternehmer daran, wie wichtig die Beherrschung mehrerer Sprachen in grenzüberschreitenden Regionen ist. Wollen Sprachen bestehen, dürfen sie einander nicht ausschließen.

Das Ziel dieser neuen Ausgabe der Zeitschrift RILEA[4] ist die Untersuchung der Dynamik von Sprachen im Kontakt, insbesondere eine Bestandsaufnahme der sogenannten MoDiMEs-Sprachen rund um drei Fragestellungen:

  1. Soziale, kulturelle, sprachliche und übersetzungswissenschaftliche Herausforderungen

Die Art und Weise, wie eine Sprache bezeichnet wird, beeinflusst maßgeblich das Bild, das man sich von ihr macht. Eine Sprache wird zur Minderheitensprache, sobald sie in einem bestimmten Gebiet nicht mehr gemeinschaftlich geteilt wird. Sie als solche einzuordnen, hat direkte Auswirkungen auf ihren Status, ihre Wahrnehmung und ihre Verwendung. Die Interaktion zwischen dominanten Sprachen und sogenannten Regional-, Dialekt- oder Soziolektsprachen wirft bedeutende politische und ideologische Fragen auf – insbesondere in Bezug auf Normativität, Diskriminierung und Marginalisierung. Die MoDiMEs-Sprachen bieten eine lokale, identitätsstiftende und emotionale Verankerung, die soziale und zwischenmenschliche Beziehungen beeinflusst.

Wie lässt sich eine Sprache beschreiben, die zur Minderheitensprache wird, wenn ihre Sprecherzahl innerhalb eines bestimmten Gebiets abnimmt? Verändert ihre Bezeichnung die Wahrnehmung oder gar den Gebrauch dieser Sprache? Wenn eine MoDiME-Sprache eine stärkere lokale, identitäre und emotionale Verankerung ermöglicht, welche Rolle kann sie dann bei der Glokalisierung spielen, die eben gerade die lokalen Besonderheiten berücksichtigt?

Führen die weltweiten Varianten einer Sprache zu einer Abgrenzung ihrer Sprecher*innen? Wie lässt sich der „richtige Gebrauch“ einer Sprache definieren? Ist die sprachliche Norm linguistisch, politisch, sozial – oder ist sie per se ein Ausdruck von Glottophobie?
Wodurch entsteht die negative Wahrnehmung, die eine Gemeinschaft gegenüber ihrer eigenen Sprache entwickeln kann?

Welche politischen und ideologischen Herausforderungen ergeben sich aus der Interaktion zwischen sogenannten Regional-, Dialekt- oder Soziolektsprachen und den Nationalsprachen (oder gar Staatssprachen) in einem geographischen Raum? Wie spiegelt sich diese Interaktion möglicherweise in der Sprachenpolitik wider? Und schließlich: Wie finden die MoDiMEs-Sprachen ihren Platz im Internet, im Zeitalter der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien und der künstlichen Intelligenz?

  1. Pädagogische Herausforderungen und bildungspolitische Maßnahmen

Die Lehre der MoDiMEs-Sprachen an Universitäten und Schulen spielt eine entscheidende Rolle bei ihrer Weitergabe und Bewahrung. Die Förderung ihres Lernens ermöglicht es, über eine rein utilitaristische Sichtweise von Sprachen hinauszugehen und das kontinuierliche Zusammenspiel zwischen Sprachen aus einer interkulturellen Perspektive zu verstehen. Das Unterrichten und Erlernen verschiedenen Sprachen kann somit zu einem Garanten für ihre Vitalität und für kulturelle Vielfalt werden.

Welche Herausforderungen ergeben sich bei der Lehre der MoDiMEs-Sprachen im Hinblick auf die Ausbildung der Studierenden und die intergenerationelle Weitergabe? Wie werden diese Sprachen in der aktuellen Bildungspolitik und in den Schul- und Hochschulprogrammen berücksichtigt? Welche Auswirkungen hat die Beschulung in einer nationalen Verkehrssprache auf ein Kind mit regionaler oder dialektaler Muttersprache – insbesondere im Hinblick auf das Kontinuum oder den Bruch zwischen den Sprachen? Und schließlich: Wie können die Studienpläne für internationale Studierende angepasst werden, um deren universitäre und soziale Integration zu fördern und zugleich ihre Mehrsprachigkeit aufzuwerten?

  1. Geopolitische, wirtschaftliche, kommerzielle und juristische Herausforderungen

In einer globalisierten Welt wirft die Verwendung der MoDiMEs-Sprachen im internationalen Austausch Fragen zur Dominanz bestimmter Sprachen – etwa des Englischen oder Spanischen – auf. Die Förderung der sprachlichen Vielfalt könnte dazu beitragen, Machtverhältnisse bei diplomatischen und wirtschaftlichen Verhandlungen neu zu definieren. Unternehmen verfolgen – gezwungenermaßen oder bewusst – Kommunikations- und Marketingstrategien, die MoDiMEs-Sprachen einbeziehen.

Können regionale und Minderheitensprachen eine bedeutende Rolle im wirtschaftlichen Austausch spielen? Können sie zu einem Marketingvorteil werden und den Aufbau einer lokalen und nachhaltigen Wirtschaft begünstigen? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Erstellung technischer, normativer oder juristischer Dokumente? Migration und die Aufnahme von politischen und Wirtschaftsflüchtlingen stellen uns vor neue Herausforderungen: Wie können MoDiMEs-Sprachen in Integrationsprogramme eingebunden werden? Müssen sich die Leitsprachen dadurch neu positionieren, um eine effektivere Umsetzung von Handels- oder Wirtschaftspolitiken zu ermöglichen? Welche Auswirkungen ergeben sich für den juristischen Bereich?

[1] ANLEA/AILEA-Kongress Saint-Étienne (2019): Beitrag von Louis-Jean Calvet zum Thema sprachliche Globalisierung, Beitrag von Olivier Galin zum Thema „Der Gaga von gestern und heute“. ANLEA/AILEA-Kongress Brest (2021): Vorführung von bretonischen Filmen des Regisseurs Sébastien Le Guillou sowie ein Konzert in keltischen Sprachen mit den Sängerinnen Brigitte Kloareg (Brest), Margaret Bennett (Isle of Skye), Deirbhile Ní Bhrolcháin (Irland) und Mary-Anne Roberts (Trinidad und Tobago, heute ansässig in Wales). ANLEA/AILEA-Kongress Straßburg (2022): Beiträge von Unternehmerinnen und Unternehmern zum Thema des elsässischen Dialekts.

[2] Sophie Bécherel, „7000 langues sont parlées dans le monde mais 25 disparaissent chaque année“, Société, Radio France.fr, 7. Februar 2021, https://www.radiofrance.fr/franceinter/7-000-langues-sont-parlees-dans-le-monde-mais-25-disparaissent-chaque-annee-5795372, abgerufen am 20.02.2025.

[3] Henriette Walter, „Le français : un patois qui a réussi?“, in: Le français dans tous les sens, Paris, Éditions Robert Laffont, 1988, S. 16.

[4] Online-Link zur Zeitschrift: https://anlea.org/revue-rilea/.

 

Call for Papers

Dieser Call for Papers lädt zu Beiträgen in Form von wissenschaftlichen Artikeln, aber auch Zeugnissen, Interviews oder Erfahrungsberichten ein, die sich auf die oben genannte, nicht erschöpfende Liste von Fragestellungen beziehen. Die Artikel können in den Hauptsprachen der LEA-Studiengänge verfasst werden: Deutsch, Englisch, Arabisch, Chinesisch, Spanisch, Französisch, Italienisch oder Russisch. Für jede andere Sprache ist die Zustimmung des Redaktionskomitees der Zeitschrift erforderlich. Artikel können auch in MoDiMEs-Sprachen oder zweisprachig verfasst werden, sofern der Text von einem Hochschullehrer gegengelesen werden kann.

Abstracts (max. 500 Wörter), begleitet von einer kurzen bio-bibliographischen Notiz, sind bis spätestens 15. November 2025 zu senden an:

  • Sophie Gondolle (sophie.gondolle@univ-brest.fr)
  • Maria-José Fernandez (fernandezv@univ-brest.fr)
  • Molly Chatalic (molly.chatalic@univ-brest.fr)

(Université de Bretagne Occidentale – Brest)

Die Publikation ist für das erste Quartal 2027 vorgesehen.

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